1. Ein Land im Aufruhr: Der Bürgerkrieg in Äthiopien
Seit dem Ausbruch des Tigray-Konflikts im Jahr 2020 befindet sich Äthiopien in einer anhaltenden politischen und humanitären Krise. Der Krieg begann als Machtkampf zwischen der äthiopischen Zentralregierung unter Premierminister Abiy Ahmed und der Volksbefreiungsfront von Tigray (TPLF), die über Jahre hinweg die politische Landschaft Äthiopiens dominiert hatte. Der Konflikt weitete sich rasch auf weitere Regionen wie Amhara und Afar aus und kostete schätzungsweise Hunderttausende Menschen das Leben.
Obwohl im November 2022 ein Waffenstillstand vereinbart wurde, konnte dieser den fragilen Frieden nicht dauerhaft sichern. Die politischen Spannungen zwischen verschiedenen Volksgruppen und Regionen führten 2023 und 2024 zu neuen Ausbrüchen der Gewalt, insbesondere in der Region Amhara. Dort kämpft die sogenannte Fano-Miliz gegen Regierungsversuche, ihre Autonomie und Waffenarsenale einzuschränken. Die Regierung reagierte mit massiven Militäreinsätzen, Luftangriffen und Verhaftungen.
Berichte über Massaker an Zivilisten, Drohnenangriffe auf Wohngebiete sowie die Zerstörung von Gesundheitseinrichtungen und Infrastrukturen verstärken die Befürchtungen, dass Äthiopien in eine neue Phase der Gewalt rutscht. Gleichzeitig ist die humanitäre Situation dramatisch: Millionen Menschen sind auf der Flucht, viele Regionen sind nur eingeschränkt erreichbar, und es fehlt an medizinischer Versorgung, Nahrungsmitteln und sauberem Wasser.
2. Politischer Zerfall in Tigray
Parallel zu den Konflikten in anderen Landesteilen hat sich die politische Lage in Tigray weiter destabilisiert. Die TPLF, die einst die politische und militärische Führungsmacht in der Region war, ist inzwischen gespalten. Zwei rivalisierende Fraktionen – unter Getachew Reda und Debretsion Gebremichael – streiten um die Kontrolle. Dieser Machtkampf gefährdet nicht nur den inneren Frieden in Tigray, sondern birgt auch das Risiko neuer Kämpfe mit der Zentralregierung oder gar anderer ethnischer Gruppen.
Darüber hinaus wird die Präsenz eritreischer Truppen in Grenznähe wiederholt dokumentiert. Eritrea hatte bereits im ursprünglichen Tigray-Konflikt eine militärische Rolle gespielt, meist an der Seite der äthiopischen Streitkräfte. Eine Wiederbeteiligung könnte die gesamte Region ins Chaos stürzen.
3. Oromia: Der vergessene Konflikt
Ein weiterer Krisenherd ist die Region Oromia, wo die Oromo Liberation Army (OLA) seit Jahren gegen die Regierung kämpft. Trotz Friedensgesprächen im Jahr 2023 flammten die Kämpfe erneut auf, zuletzt verstärkt Ende 2024. Auch hier gibt es Berichte über Menschenrechtsverletzungen und massive Vertreibungen.
Äthiopien droht zunehmend, sich in einem Mosaik aus bewaffneten Konflikten, politischer Instabilität und ethnischer Polarisierung zu verlieren – mit unkalkulierbaren Folgen für das gesamte Horn von Afrika.
4. Zunehmende Kritik an Ruanda
Während Äthiopien in einem innenpolitischen Chaos versinkt, gerät ein anderes Land der Region zunehmend in die Kritik: Ruanda. Der Vorwurf lautet, dass Ruanda die Rebellengruppe M23 im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) militärisch und logistisch unterstützt. Diese Gruppe sorgt seit Jahren für Instabilität in der Region Nord-Kivu und verübt regelmäßig Angriffe auf die kongolesische Armee und Zivilbevölkerung.
Im Jahr 2025 eskalierte die Situation erneut, als M23 größere Städte im Ostkongo einnahm und Zehntausende zur Flucht zwang. Berichte von NGOs und UN-Experten legen nahe, dass Ruanda Waffen liefert, Kämpfer ausbildet und sogar direkt militärisch eingreift. Als Gegenleistung profitiert Ruanda mutmaßlich vom Zugang zu den reichen Bodenschätzen des Kongos, insbesondere Coltan, Gold und Kobalt – strategisch wichtige Ressourcen für die Hightech-Industrie.
5. Internationale Reaktionen auf Kigali
Die Reaktion der internationalen Gemeinschaft ist zunehmend kritisch, aber bislang begrenzt in ihrer Wirkung. Die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und mehrere afrikanische Staaten verurteilten die Unterstützung der M23 durch Ruanda scharf. Belgien, das ehemalige Kolonialmacht beider Länder war, stellte seine Entwicklungszusammenarbeit ein und rief ruandische Diplomaten zurück.
Auch das EU-Parlament debattierte über Sanktionen gegen Kigali. Mehrere Länder, darunter Deutschland und Großbritannien, drohten mit dem Einfrieren von Hilfsgeldern. Dennoch weigert sich die ruandische Regierung unter Präsident Paul Kagame, Verantwortung zu übernehmen. Stattdessen betont Kigali das Recht auf Selbstverteidigung gegen Bedrohungen von jenseits der Grenze.
Ruanda trat im Juni 2025 sogar aus der Zentralafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft (ECCAS) aus – ein politisches Signal, das seine wachsende Isolation, aber auch seine Unnachgiebigkeit verdeutlicht.
6. Ähnlichkeiten und Unterschiede der beiden Krisen
Trotz unterschiedlicher Ausgangslagen weisen die Konflikte in Äthiopien und der DR Kongo auffällige Parallelen auf:
- Ethnische Spannungen: Beide Konflikte wurzeln tief in ethnischen Spannungen und ungelösten historischen Traumata. In Äthiopien stehen sich verschiedene Volksgruppen wie die Amhara, Oromo und Tigrayer gegenüber, während im Ostkongo die Hutu-Tutsi-Spannungen eine große Rolle spielen.
- Ressourcen als Konflikttreiber: In beiden Fällen fungieren wirtschaftliche Interessen – insbesondere Bodenschätze – als Beschleuniger der Gewalt. In Äthiopien geht es oft um Land- und Machtfragen, im Kongo um die Kontrolle über Minen.
- Internationale Einflussnahme: In Äthiopien mischt sich Eritrea wieder in die inneren Angelegenheiten ein, während Ruanda als externer Akteur direkt im Kongo involviert ist. Beide Länder nutzen ihre Armeen als geopolitisches Instrument.
- Schwache internationale Antwort: Trotz klarer Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen und externe Einflussnahme sind die Reaktionen der internationalen Gemeinschaft bislang eher symbolisch. Es fehlt an konkreten Maßnahmen wie Sanktionen, UN-Mandaten oder aktiver Vermittlung.
7. Ausblick und Handlungsempfehlungen
Beide Krisen bergen das Potenzial, sich zu regionalen Großkonflikten auszuweiten, wenn die internationale Staatengemeinschaft nicht entschlossen handelt. Für Äthiopien ist es entscheidend, dass der fragile Friedensprozess durch unabhängige Beobachter begleitet wird. Zudem muss der politische Dialog zwischen den Volksgruppen gestärkt und der Schutz von Zivilisten durch internationale Präsenz abgesichert werden.
Im Falle Ruandas braucht es dringend diplomatischen Druck und Sanktionen, wenn sich die Unterstützung der M23 bestätigt. Ein UN-Sondergipfel zum Kongo könnte neue Impulse für eine politische Lösung liefern. Auch Sanktionen gegen den illegalen Handel mit Bodenschätzen aus Konfliktzonen könnten Ruandas wirtschaftliche Motive dämpfen.
Langfristig müssen beide Länder den Weg zurück zu Rechtsstaatlichkeit, Demokratisierung und zivilgesellschaftlicher Beteiligung finden. Nur durch die Einbeziehung aller Bevölkerungsgruppen und eine faire Ressourcenverteilung kann dauerhafter Frieden entstehen.
Fazit
Äthiopien und Ruanda stehen exemplarisch für zwei unterschiedliche, aber miteinander verflochtene Konfliktmuster in Afrika: interne Zerrissenheit und externe Einflussnahme. Während Äthiopien unter der Last seiner ethnischen Vielfalt und politischen Spaltung zu zerbrechen droht, untergräbt Ruanda durch seine Interventionen die Souveränität seines Nachbarn. Beides sind Warnsignale an die internationale Gemeinschaft, dass Wegsehen keine Option ist.
Ein koordinierter, nachhaltiger und mutiger außenpolitischer Ansatz ist gefragt – nicht nur im Interesse der betroffenen Staaten, sondern im Sinne der gesamten afrikanischen Stabilität.